400000 junge Leute kommen jedes Jahr im August nach Guča, wenn die besten Blaskapellen um die Wette spielen. Hardrocker, Folkloregruppen, Hippies und Kampftrinker flippen aus.
Übernachtet haben wir in der Wohnung des Polizeichefs, im geräumten Kinderzimmer, unter einem Poster von Harry Potters Freundin Hermine, wohlwollend beäugt von rosa und hellblauen Kuscheltieren. Einen behüteteren Ort kann man in Guča kaum finden. Die Fotos der Polizeicheftöchter stehen, gerahmt in rotem Kunstleder, auf einem Häkeldeckchen. Für ein paar Tage sind die Mädchen bei auswärtigen Verwandten untergebracht. So macht man das hier Jahr für Jahr am letzten Augustwochenende, wenn in das 3000-Einwohner-Dorf plötzlich 400000 Blasmusikverrückte einfallen. Guča liegt in der tiefsten serbischen Provinz, dreieinhalb Autostunden südlich von Belgrad. Es gibt dort ein einziges Hotel mit 40 Betten, ein weiteres wird gerade gebaut. Da kann sich glücklich schätzen, wer auf der Klappliege in einer Privatwohnung untergekommen ist.
In den Tagen des großen Blasmusikfestivals wird in Guča nämlich überall geschlafen: auf den Wiesen am Ortsrand, die sich in riesige Zeltplätze verwandeln; in Schulen und Turnhallen, in denen die Luft morgens zum Schneiden stickig ist; zu zweit unter Wolldecken im Auto; allein neben der leeren Schnapsflasche in Hauseingängen oder mitten auf dem zentralen Dorfplatz zwischen Glasscherben, Plastikmüll und Bierlachen am Sockel des berühmten Denkmals mit dem goldenen Trompeter.
Nur der Polizeichef findet keinen Schlaf. Jede Nacht dreht er erst zur frühen Morgenstunde den Schlüssel in seiner Wohnungstür, drei Stunden später ist er schon wieder auf dem Weg zum Dienst. Auch in seinem Büro kann man ihn nicht treffen. "Viel Arbeit, schlechte Nachrichten", sagt seine Frau, die das Frühstück für die Gäste zubereitet. Am Montag steht es in der Zeitung: Zwei verfeindete Jugendbanden sind beim Festival aneinandergeraten, ein Jugendlicher wurde bei der Messerstecherei getötet. Im letzten Jahr waren es die jugendlichen Alkoholraser, die dem Polizisten den Schlaf raubten. Auf den kleinen, kurvenreichen Landstraßen fahren sie im Suff gegen Bäume und brechen sich die Hälse.
Den legendären Ruf der Festtage von Guča können solche hässlichen Zwischenfälle nicht beschädigen. Guča gilt als das größte und wildeste Blasmusikspektakel der Welt. Die ganze Region strömt herbei und junge Leute aus aller Welt. Das Festival sei das wichtigste und authentischste Symbol serbischer Kreativität, erklärt der aus Belgrad angereiste Staatsminister. Die Trompete mache gesund und vertreibe alle Neurosen, sagt einer der Gründer: »Guča ist Ausdruck serbischer Lebensfreude.« Wie viel das Bier und der Rakija zum Ruhm der Veranstaltung beitragen, braucht niemand extra zu betonen: Jeder weiß, dass Guča ein Massenbesäufnis ist.
In nüchternen Worten lässt sich der Anlass des Festes so beschreiben: Zwanzig serbische Musikkapellen kommen zu einem Bläserwettstreit zusammen. Zuvor haben sie sich in regionalen Vorausscheidungen qualifiziert. Der Sieger gewinnt die begehrte goldene Trompete. Über fünf Tage erstreckt sich das Rahmenprogramm mit Trachtenauftritten, Umzügen und Rummelplatzvergnügen. Der Wettbewerb selbst wird in wenigen Stunden am letzten Tag abgewickelt, denn es geht in erster Linie um anderes: durchtanzte Nächte, Rausch, Enthemmung. Sex and drugs and Rock’n’Roll auf Serbisch.
Das Festival ist fest in der Hand der Zigeunerbands aus dem Süden und Westen des Landes. Sie stellen fast alle Teilnehmer, geben mit ihren übermütig ratternden Tänzen, den Cočeks und Kolos den Ton an. Von schmissigen Synkopen wird ihre Musik vorangetrieben. Die Basstuba bollert wie Ausbeulungsarbeiten auf dem Autoschrottplatz. Über den pumpenden Rhythmen erhebt sich das orientalisch klingende Melodiegewusel der Trompeten. Im Vergleich zum Wespentemperament einer serbischen Gipsy-Band wirken bayerische Bierzeltkapellen so behäbig wie halb tote Stubenfliegen auf ihrem letzten Flug. Verwegene Typen sind die Musiker allesamt. Für Guča haben sie sich die gelockten schwarzen Haare extranass in den Nacken gegelt, ihre Nadelstreifenanzüge oder cremefarbenen Leinenwesten angezogen und die eleganten Schuhe übergestreift. An den Schuhen kann man jeden Gipsy-Trompeter erkennen: Spitz und lang müssen sie sein und am besten aus Schlangenleder. Guča ist eine große Chance für die Musiker. Wer hier auffällt oder gar den Wettbewerb gewinnt, braucht sich um lukrative Engagements bei Hochzeiten und Beerdigungen keine Sorgen mehr zu machen.
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